Yogalehrerin Stine Lethan im MOMspiration-Interview
Stine Lethan (41) lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen (7) und (5) in Berlin. Die Tänzerin mit dänischen Wurzeln
unterrichtet seit 2005 bei Spirit Yoga und gehört zum ersten Ausbildungsjahrgang von Patricia Thielemann. Im Interview spricht sie über die Kunst, den Alltag zu umarmen, das Ausatmen vorm
Ausflippen und ihre Winter-Auszeiten in Nord-Goa …
Liebe Stine, Du fährst seit über zehn Jahren jeden Winter nach Indien. Wie arrangierst Du das mit Deinen Kindern?
Der Große geht in die zweite Klasse einer Deutsch-Skandinavischen Schule in Berlin. Wir waren dieses Jahr deshalb nicht vier Monate in Indien, wie früher, sondern vier Wochen. Mein große Sohn Silas hat eine Schule in Goa besucht, der Unterricht war auf Englisch. Isak, mein Jüngster, war in der Vorschule.
Bestimmt eine sehr bereichernde Zeit!
Es ist sehr schön, dass die Kinder eine andere Kultur mit anderen Sitten und Ritualen kennenlernen. Wir sind immer in Nord-Goa, dort ist es sehr touristisch, aber
ein sehr angenehmer Tourismus. Die Jungs erleben eine unglaubliche Vielfalt an Leben und Gesellschaft und dadurch entwickeln sie eine Offenheit und Toleranz gegenüber Menschen und
Kulturen...
„Indien geht mir unter die Haut.“
Fahrt ihr immer an den gleichen Ort?
Ja, wir leben in einer Art „bubble“ mit anderen Touristen, das ist manchmal komisch und fühlt sich ein bisschen an wie Ibiza mitten in Indien (lacht). Ich
mag es dort sehr gerne, denn ich kann Yoga praktizieren, tanzen und singen. Ich freue mich immer unglaublich, da zu sein. Man hat das Meer und kann gut essen, sehr viel Lebensqualität mit einem
niedrigen Budget. Wenn uns alles zu viel wird, entfliehen wir diesem Ort und fahren 40 Kilometer mit dem Motorrad in den nächsten Staat Maharashtra, dort haben wir eine Art „Geheim-Strand“. Das
ist eine sehr gute Mischung für uns.
Würdest Du Indien als Reiseland für Familien empfehlen?
Ich bin sehr, sehr froh, dass ich in Indien war, bevor ich die Kinder bekommen habe. Ich würde es also nicht direkt empfehlen und erst einmal zu Sri Lanka oder
Thailand raten, weil Indien schon seeehr verrückt ist. Es ist laut, dreckig, voller Kontraste und wirklich crazy. Das Land gibt mir aber auch diesen Impuls sehr klar, Farben, Gerüche und
kulturelle Einflüsse wahrzunehmen – Indien geht mir unter die Haut. Ich habe eine Hass-Liebe zu Indien und verliebe mich trotzdem immer wieder! (lacht)
Was können wir von indischen Eltern lernen?
Ich finde es schön, dass die Kinder überall mitgebracht werden: Auf den Markt, in den Tempel, sie sind überall präsent! Auch im Haushalt, der sich ja in Indien oft
draußen abspielt. Da wird Tee in Töpfen vor der Tür gekocht oder abends auf der Straße geduscht. Die Nachbarschaft ist insgesamt sehr eng beieinander. Es gibt Muslime, Hindus, Christen, Juden und
Sikhs und ich erlebe, dass das Zusammenleben klappt. Auch wenn ich oft lese, dass es nicht funktioniert …
Apropos funktionieren: Du selbst hast dänische Wurzeln. Ich habe immer das Gefühl, dass die Dänen den Vereinbarkeits-Dreh voll raus haben …
Wenn ich meine dänischen Freunde aus der Ferne betrachte, sieht alles sehr perfekt aus. Alle haben schöne Kleidung an, alle haben schöne Designermöbel, die Mütter
haben Fulltime-Jobs und können super kochen, sie können alles toll. Ich glaube, dass sehr viel Druck und Perfektionismus mitschwingt, und dass die Frauen sehr unter diesem Druck leiden. Dabei ist
es doch so: Man kann nicht alle Bälle gleichzeitig in der Luft halten, das ist unmöglich.
„Yoga hilft mir sehr, geduldiger mit meinen Kindern zu sein.“
Findest Du, dass Yogalehrerin ein familienfreundlicher Beruf ist, also ein Beruf, der es einem leichter macht, alle Bälle in der Luft zu halten?
Ja und Nein. Die Primetime-Yogaklassen am Abend sind eigentlich ein No-Go. Ich hatte früher auch jeden Abend eine Klasse und das hat mit Kindern überhaupt nicht
funktioniert. Jetzt bin ich einen Abend unterrichten. Zum Glück gibt es in Berlin Yoga Klassen wie Power-Lunch! Sunrise und Pränatal- und Postnatal Yoga funktioniert auch sehr gut.
Hat Yoga Dir selbst bei Deinen Geburten geholfen?
Ja, schlicht und einfach beim Atmen.
Und wie hilft es Dir im Umgang mit Deinen Söhnen?
Ich habe gelernt auszuatmen, bevor ich ausflippe (lacht). Es hilft mir sehr, geduldiger mit meinen Kindern zu sein.
Was machst Du, wenn Du genervt von Deinen Kindern bist?
Es gibt mehrere Varianten. Entweder verlasse ich die Situation, also den Raum und ziehe mich zurück ins Bade- oder Schlafzimmer, oder ich gehe kurz auf den Balkon
und atme aus. Danach stelle ich mich der Situation und sage: „Okay, lasst es uns jetzt noch einmal versuchen“.
Wenn die Kinder zum Beispiel sehr laut sind und ich schon hundert Mal darum gebeten habe, dass sie bitte leiser sein sollen, habe ich große neonfarbene Kopfhörer, solche, die Kinder manchmal bei
Festivals aufhaben, und die setze ich auf. Ohne Sound. Dann koche ich und lass die Kinder Kinder sein. Das funktioniert gut.
Übst Du mit Deinen Jungs Yoga?
Sie haben beide Yoga im Kindergarten geübt. Wenn ich Yoga mit ihnen mache, wollen sie nie mitmachen. Wenn ich selber Yoga übe, kommen sie mit auf die Matte und klettern auf mir herum. Immer noch. Deshalb entwickeln wir so eine Art Acro-Yoga, nach unserem eigenen System. (lacht)
„Mein Mama-Mantra? Ich umarme meinen Alltag.“
Wie bist Du mit der Veränderung Deines Körpers umgegangen?
Ich freue mich einfach sehr, dass mein Körper funktioniert, dass er meine zwei Kinder getragen hat und ich diese zwei tollen Söhne begleiten kann. Natürlich sieht
mein Körper anders aus. Yoga und Tanz helfen mir dabei, mich in meinem Körper wohl zu fühlen. Es dauert ja mindestens ein Jahr, bis man in seinen Körper nach einer Schwangerschaft und Geburt
wieder ankommt – und das muss erst einmal akzeptiert werden.
Wie lebst Du als zweifache Mama Selbstliebe?
Wenn ich zehn Dinge auf meiner To-Do-Liste habe, komme ich total aus dem Moment heraus und hetze durch den Alltag. Ich sage mir dann selber: „Okay, was ist JETZT
wichtig?“ Dann fallen meistens schon mal acht Sachen weg und ich mache zwei Dinge ordentlich. Das hilft sehr. Die anderen Sachen mache ich dann, wenn sie wichtig sind. Wenn die Kinder abends
schlafen und ich Zeit habe zu reflektieren, denke ich auch gerne daran, was heute richtig gut gelaufen ist und gut funktioniert hat. Zum Beispiel, dass ich in der Sonne gesessen habe und sie
immer noch in mir spüre. Momente wie diesen dehne ich aus in meinem Alltag, dass es sich so anfühlt wie eine Ewigkeit. Das ist auch ein gutes Mama-Mantra: Ich umarme meinen Alltag.
Was würdest Du Deinem jungen Mama-Ich raten?
Genieße jede Phase, denn jede Zeit, ist Teil der Entwicklung und einzigartig und wundervoll. Bei dem Erstgeborenen musste ich erst einmal die Erfahrung machen, dass alles phasenweise passiert. Diese ganzen Unsicherheiten, die man erlebt. Beim zweiten Kind war das anders, da wusste ich: Wenn das Kind weint, weil es Luft im Bauch hat, dann geht das vorüber, sehr wahrscheinlich mit dem nächsten Pups. Auch das Stillen konnte ich viel mehr genießen, weil ich wusste: Es ist irgendwann auch zu Ende.
„Es ist sehr wichtig, dass wir aufhören, perfekt sein zu wollen.“
Was würdest Du Deinem jungen Mama-Ich raten?
Es ist sehr wichtig, dass wir aufhören, perfekt sein zu wollen. Da ist viel zu viel Druck auf uns und das macht uns unglücklich. Ich finde, es ist sehr wichtig,
dass wir unseren Blick mehr nach Innen richten, auf unseren Wesenskern. Dort spüre ich: Ich habe Halt und gebe mein Bestes.
Ganz viel von und mit Dir kann man auf Deinen Retreats lernen. Warum liegt Dir das Thema Weiblichkeit so sehr am Herzen?
Frauen sind stark in ihren Alltag beansprucht, ich möchte eine intensive Zuwendung und Verbindung zu ihrer inneren Göttin schaffen um diese Verbindung in den Alltag zu übertragen. Wenn wir uns als Frauen selbst realisieren wollen – auf beruflicher und familiärer Ebene – stoßen wir oft an Grenzen, weil wir versuchen, alle Rollen mit Perfektionismus zu halten. Ob Mama oder Frau, alle brauchen Rückzug und bewusste Pausen, um die Harmonie zwischen Halten und Entspannen, was das Leben ausmacht, tragen zu können. Einige meiner Retreats sind wie Schnittstellen zwischen Female Empowerment im Vinyasa Yoga, Heilung, Tanz und dem Stärken der weiblichen Intuition.
Vielen Dank für das Gespräch, Stine!
Fotos Schwarz-weiß: Julia Grossi, Foto Indien:
privat
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