Hier kommt ein Mutmach-Artikel für alle Yogamamas, denen es gerade nicht so gut geht. Judith Reinartz hat für die nicht immer einfache Geschichte
ihrer späten Mutterschaft mit 43 aufgeschrieben. Die Schauspielerin, Moderatorin und Sprecherin berichtet sehr offen über Kämpfe, Krankheit und Konflikte – und wie ihre Yogapraxis, insbesondere
zwei Kundalini-Kriyas, ihr geholfen haben, ihren Frieden zu finden. Eine Muttergeschichte, die berührt und zeigt, dass Yoga wirkt – auf allen Ebenen.
Annehmen, was ist. Grenzen wahrnehmen und respektieren. Noch heute, nach inzwischen fast fünfzehnjähriger Yogapraxis, fällt mir diese Haltung bei
gewissen Assanas schwer. Extreme Hüftbeuger, wie die Taube zum Beispiel, zaubern mir kein inneres Lächeln auf die Lippen, sondern eher heruntergezogene Mundwinkel. Anstatt mit Sanftmut reagiere
ich mit Missmut. Ich fühle Widerstände in mir hochsteigen, was die Anstrengung in der Übung zu verharren noch vergrößert. Je nach Tagesform projeziere ich meinen Groll auch gerne mal auf die
Yogalehrerin: „Na, die hat gut Reden … ich quäle mich hier auf der Matte!“ Was wiederum zur Folge hat, dass ich mich über meine wenig yogischen Empfindungen ärgere, was den Widerstand noch
vestärkt.
Widerstände: Sie begegnen uns allerorts, in der Kinderziehung, im Alltag, im Job, in unseren Beziehungen. Unsere normale Reaktion: Gegenwehr, Gereiztheit, Ungeduld, Ablehnung und Agression.
Innerlich rebellierte ich gegen die Anforderungen des Mutterseins
Die Anfänge meiner späten Mutterschaft mit 43 Jahren waren geprägt von Widerständen. Obwohl ich so glücklich und dankbar war über die Geburt meiner Tochter, tat ich mich schwer in meiner neuen Rolle. Sie war zunächst wie ein Wunschkleid, das ich neun Monate voller Vorfreude herbeigesehnt hatte. Aber als ich es dann trug, wollte es nicht so recht passen. Es schnürte mich ein, war unbequem und nahm mir die Luft.
Innerlich rebellierte ich die gegen die permanenten Anforderungen, dem konstanten Schlafentzug, der Fremdbestimmung, dem fortwährenden Funktionieren müssen, meinem Los als Alleinerziehende, der
mangelnden Unterstützung durch den Kindesvater. Ich sah mich gefangen in einem Teufelskreis aus nicht enden wollender Widrigkeiten.
Power-Yoga, schon lange ein fester Bestandteil meines Lebens, wurde nun für mich zur Notwendigkeit. Unter schwierigen Umständen stahl ich mir so oft es ging die Zeit für meine Yoga-Praxis. Hier konnte ich den Alltag hinter mir lassen, abschalten, Kraft tanken, mich neu fokussieren und balancieren. Meine 75 Minuten auf der Yoga- Matte schenkten mir neue Energie, Stabilität und Entspannung. Ein Luxus ganz für mich allein!
Bereits während meiner Schwangerschaft hatte ich Kundalini-Yoga für mich entdeckt. Die Kriyas (Übungsreihen) und Mantras stärkten mich für den Geburts-Marathon. Für mich ist diese Yoga-Richtung
eine sehr gute Ergänzung zum dynamischen Power-Yoga. Die intensive Atmung, insbesondere der Feueratem, der Einsatz der Stimme und beispielsweise die Sat-Kriya verleihten mir zusätzliche Power.
Yoga wurde zu meiner wichtigsten Kraft-Tankstelle. Ohne diesen Flucht- und Ruhepunkt wäre ich höchstwahrscheinlich zu einer tickenden Zeitbombe mutiert.
Mit dem Tumor ging mein Widerstand dahin
Dennoch – die Haltung: Annehmen was ist – Grenzen wahrnehmen und respektieren, konnte ich weiterhin nicht auf mein Leben übertragen. Ich kämpfte an allen Fronten: Den Wiedereinstieg in meinen Beruf, gerichtlich gegen den Kindesvater für die Rechte meiner Tochter auf Unterhalt und Umgang. Man könnte sagen, ich kultivierte meinen Widestand.
Es war wie verhext: sobald ich eine Hürde genommen hatte, tat sich die nächste vor mir auf. Trauriger Höhepunkt meiner Auflehnung war eine lebensbedrohliche Autoimmunerkrankung meiner damals
vierjährigenTochter, die sukzessive ihre Gehirnfunktionen außer Kraft setzte. Es stand auf Messers Schneide, ob sie genesen oder lebenslang behindert sein würde. Zu diesem Zeitpunkt war ich mit
meinen Kräften schon längst am Limit.
Die Ärzte attestierten mir eine posttraumatische Belastungsstörung und prognostizierten mir einen Burn-Out. Ich trotzte dieser Vorhersage. Mit Yoga und Meditation. Der Zusammenbruch blieb
aus! Ich aktivierte meine letzten Energie-Ressourcen und bewerkstelligte es, meine Tochter auf dem mühsamen und langen Weg ihrer vollständigen Gesundung zu begleiten.
Doch die Lektionen, die wir lernen müssen, verschaffen sich ihren Raum. Unerbittlich! Ein Jahr später brachte ein Zufallsbefund alles zum Erliegen: Ein Tumor am Rückenmark, zwischen meinem
zweiten und dritten Brustwirbel. Die Lähmung der Extremitäten war nur noch eine Frage der Zeit. In einer fünfstündigen Operation am Rückenmark wurde der Knoten entfernt.
In meiner anschließenden monatelangen Rekonvaleszens, als meine Auflehnung nicht hätte größer sein können, fiel endlich der Groschen: Annehmen was ist – Grenzen wahrnehmen und respektieren. Endlich ließ ich los: die Rebellion gegen meine Lebenssituation, meine latente Gefechtsbereitschaft, meine Überforderung, meine Wut, meine Unnachgiebigkeit und meinen Schmerz. Mit dem Tumor ging mein Widerstand dahin, er löste sich mehr und mehr auf. An seine Stelle trat Heilung und im weiteren Verlauf Friedfertigkeit.
Ohne Yoga und Meditation hätte ich die Herausforderungen nicht überwinden können
Für die nächsten Monate meiner aktiven Yoga-Praxis beraubt, fokussierte ich mich auf Meditation. Ich arbeitete täglich mit der „Beaming and Creating Future“-Kriya aus dem Kundalini.
Langsam fand ich wieder Zugang zu meiner so lange verschütteten Herzensenergie und meiner Kreativität. Wie ein fernes Echo konnte ich erstmals Dankbarkeit empfinden
für meinen vermeintlich ärgsten Widersacher: Dem Vater meines Kindes. Dem Mann, gegen den ich seit zehn Jahren gerichtlich zu Felde zog. Dankbarkeit für unsere wunderbare Tochter, die es ohne
sein Zutun nicht gäbe. Erstmals konnte ich die Perspektive wechseln und einen Schritt auf ihn zu gehen. Mit Freundlichkeit anstatt Ablehnung. Bis dato lag das jenseits meiner Vorstellungskraft.
Ich folgte meiner Intuition und begann die Erfahrungen und Erkenntnisse meiner späten Mutterschaft zu Papier zu bringen. Inzwischen ist ein Buch daraus entstanden.
Ohne Yoga und Meditation hätte ich die Herausforderungen und Erschütterungen der letzten zehn Jahre nicht bewältigen können. Es waren meine verlässlichsten
und hilfreichsten Begleiter.
Inzwischen kann ich den „Baustellen“ in meinem Leben mit viel größerer Leichtigkeit und Gelassenheit begegnen. Ich glaube, je mehr es uns gelingt,
Hindernisse anzunehmen, sie als Möglichkeit begreifen zu lernen und zu wachsen, desto leichter wird der Umgang mir ihnen. Die yogischen Prinzipien wie Gewaltlosigkeit, Achtsamkeit, Fokus,
Balance, innere Ruhe und Kraft sind dabei großartige Verbündete.
Auf ideale Voraussetzungen zu warten, ist Zeitverschwendung
Widerstände gehören zum Leben. Auf ideale Voraussetzungen zu warten, egal auf welcher Ebene, ist Zeitverschwendung. Mit dem arbeiten, was gerade jetzt da, mit den
Umständen, den Menschen und dem Körper. Auf das Yoga übertragen: Respektieren und Dankbar sein für das, was unser Körper bereit ist in einer Assana zur Verfügung zu stellen. Ohne Druck – ohne
Zwang.
Ich glaube die Haltung, die wir Hindernissen gegenüber einnehmen, ist schlussendlich richtungsweisend, welchen Kurs unser Leben nimmt, welche Qualität unsere
Arbeit, unsere Beziehungen, unser Miteinander hat.
Also: Heißen wir die Herausforderungen, die sich uns in den Weg stellen willkommen. Treten wir ihnen mit Tatkraft, Kreativität, Willensstärke, Mut und
Beharrlichkeit entgegen. Bis sie sich zu guter Letzt in Wohlgefallen a u f l ö s e n.
Ach ja, und apropos Taube: Sie wird nie meine Lieblingsübung werden, aber in der gestrigen Yoga-Praxis habe ich sie mit einem Lächeln begrüßt. Mein Körper dankte es
mir mit einer tiefen und (fast)entspannten Dehnung.
Mamasté,
Deine Judith
Mehr zu -Gastautorin Judith Reinartz
Judith Reinartz ist Schauspielerin, Moderatorin und Sprecherin.
Ihr erstes Buch: „immeramlimit43“ sucht noch einen Verlag.
Die gebürtige Kölnerin lebt mit ihrer elfjährigen Tochter in Hamburg.
Und du?
Hat Yoga dir auch durch Krisen geholfen oder dich in einer besonderen Situation gerettet? Schreib mir gerne eine Mail.
Foto: O.D., Christoph Mannhardt
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